Papst Franziskus prangert Zustände in der Kirche an

PAPST FRANZISKUS PRANGERT ZUSTÄNDE IN DER KIRCHE AN.

Tratsch und Klatsch „eine Versuchung des Teufels“

 

Von Vatikan-Korrespondent Albert Link

 

Wenn es noch Zweifel gab an der Entschlossenheit von Papst Franziskus (76), eingestaubte Kirchenstrukturen aufzubrechen, dann hat er sie mit diesem Überraschungs-Coup zerschlagen.

 

In einem Interview mit dem nichtgläubigen Intellektuellen Eugenio Scalfari (89), veröffentlicht in dessen linksliberaler Tageszeitung „La Repubblica“, kritisiert der Papst die Verwaltungsabläufe innerhalb der Kirche scharf.

 

Er tut dies genau an jenem Tag, an dem ein internationaler Kardinalsrat damit begonnen hat, die Grundzüge einer Kurienreform für ihn zu erarbeiten. Damit hat der Papst den Druck auf seine acht Ratgeber noch einmal erhöht.

 

Zu „Vatikan-zentriert“ sei die Kurie, beklagt Franziskus. Sie verfolge „die Interessen des Vatikans, die immer noch zu großen Teilen weltliche Interessen sind“.

 

Gemeint sind Geld, Macht, politischer Einfluss.

 

Er sei angetreten, dies zu ändern, sagte der Papst: „Die Kirche ist - oder sie sollte es wieder sein! - eine Gemeinschaft des Volkes Gottes, in der Priester, Pfarrer, Bischöfe als Hirten im Dienst am Volk Gottes stehen.“

 

Hart geht der Argentinier, der die Ohnmacht gegenüber Rom aus seiner Zeit als Erzbischof in Buenos Aires kennt, mit den Auswüchsen eines typischen Hofstaates ins Gericht: „Die Führer der Kirche waren oft narzisstisch, von Schmeichlern umgeben und von ihren Höflingen zum Üblen angestachelt. Der Hof ist die Lepra des Papsttums...“

 

Auf die acht von ihm ausgewählten Kardinäle, darunter der Erzbischof von München und Freising, Reinhard Marx (60), setzt Franziskus große Hoffnungen auf frische Impulse. Sie seien „keine Höflinge, sondern weise Personen, die von denselben Gefühlen bewegt werden wie ich. Das ist der Anfang dieser Kirche mit einer nicht nur vertikalen, sondern auch horizontalen Organisation“.

 

Nach BILD.DE-Informationen ist der Papst entschlossen, an fünf der sechs geplanten Sitzungen des Rates persönlich teilzunehmen. Sie finden in der Privatbibliothek des leerstehenden Papst-Apartments im Apostolischen Palast statt und dauern bis Donnerstag. Am Freitag möchte sich Franziskus in Umbrien auf die Spuren des Bettelmönches Franz von Assisi (1182-1226) begeben, den er als großes Vorbild sieht: „Er träumte von einer armen Kirche, die sich um die anderen kümmern würde, ohne an sich selbst zu denken.“

 

Bereits im Vorfeld der Beratungen hatte der Papst klargestellt, dass er von seinen engsten Beratern Diskretion erwartet.

 

Tratsch und Klatsch seien „eine Versuchung des Teufels“, die sich „gegen die Einheit derer richtet, die im Vatikan leben und arbeiten“.

 

Wer wollte, konnte darin eine Anspielung auf den „Vatileaks“-Skandal lesen, jener Melange aus Spionage und Verrat, die Benedikt XVI. im Vorjahr zermürbt hatte.

 

Überraschend sieht der Papst jedoch nicht in kirchlichen Zukunftsfragen die drängendste Herausforderung. Sondern in der Bekämpfung von „Jugendarbeitslosigkeit und der Einsamkeit, der man die Alten überlässt“.

 

Den Einwand des Kirchenskeptikers Scalfari, dies sei vornehmlich das Problem von Staaten, Regierungen, Wirtschaft und Gewerkschaften, lässt Franziskus nicht gelten: „Es betrifft die Seele der Menschen, ist damit unsere Verantwortung (...) Wir müssen den Jungen die Hoffnung zurückgeben und den Alten helfen (...), uns der Zukunft öffnen.“

 

Der Geist des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-1965) habe schließlich darin bestanden, sich „der modernen Kultur zu öffnen, der Ökumene, dem Dialog mit Nichtglaubenden“. In dieser Richtung, so Franziskus, sei seitdem „sehr wenig getan“ worden.

 

Damit übt Franziskus erstmals kaum verhohlene Kritik am Kurs unter den Vorgänger-Päpsten Johannes Paul II. (†2005), den er am 27. April heiligsprechen wird, und Benedikt XVI. (86), seinem „Nachbarn“ im Vatikan. Ihn hatte er bislang bei jeder Gelegenheit in höchsten Tönen gelobt.

 

Auch Benedikt XVI. hatte Missstände und „Schmutz“ innerhalb der Kirche beklagt, Abschied von weltlicher Macht gefordert. Doch die Kurie führte zu großen Teilen ein Eigenleben...

 

Quelle: Bild-Zeitung